Neuseeland - Auckland Hamilton Rotorua Taupo Wellington Christchurch

02-12-2020

Wir haben Federn gelassen...Zuerst war mein Schal weg... in Boston bei Minusgraden, schon ein Jammer (aber erträglich), dann meine Brille..., die habe ich auf dem Flug von Santiago nach Buenos Aires aus dem Rucksack geholt, um zu lesen - hab' dann aber vorgezogen zu schlafen und die Brille im Flieger vergessen... hm (schon doof). In El Calafate hat Harald ein Mäppchen mit Kreditkarte, Führerschein und einer überschaubaren Geldsumme im Bus liegen lassen - weg (!)... Ihr seht, es wird immer doofer. Ich habe im Taxi in Hamilton mein Mobiltelefon liegen lassen - auch weg (!!)... das war ein Tiefpunkt. Noch am Morgen habe ich mit meinen Tango-Paaren geskypt und danach ist es passiert. Im Bus hat Harald seine zwei Jacken vergessen - bei einer Reise mit Handgepäck ist das schon ein bedeutender Verlust... aber es besteht noch eine kleine Chance auf "lost and found" - wir nehmen's sportlich!


Inzwischen sind wir über all die großen und kleinen Verluste hinweg und genießen Neuseeland. Egal wo wir uns aufhalten - es begegnen uns freundliche, aufgeschlosse, interessierte, hilfsbereite und gutgelaunte Menschen. Das Wetter ist ein Traum - nicht zu heiß, nicht zu kalt und immer sonnig (vielleicht sind die Menschen deshalb so freundlich usw.) Die Vegetationsvielfalt ist atemberaubend, die Tierwelt, die Landschaft und das Meer ebenso. Der ideale Platz zum Leben, nur eben am anderen Ende der Welt. Von hieraus ist alles weit weg - knapp vier Stunden dauert ein Flug nach Australien, um dann im gleichen Kulturraum, mit ähnlichen Stadtbildern, bei ähnlich schönem Wetter (gewiss heißer) auf ebenso freundliche Menschen zu treffen... wie "langweilig" (?!) Ein Flug nach Bali dauert 9 Stunden und nach Santiago de Chile knapp 14. Nach Europa gelangt man innerhalb von mindestens 30 Stunden...


Aber jetzt bin ich hier und muss langsam wieder in die Arbeit einsteigen (und Harald hilft dabei, was durchaus auch anstrengend sein kann [in Deitschland führen wir eine Fernbeziehung - HIER NICHT!])...

Neuseeland

02-02-2020

Die zweite Hälfte unserer Welt-Tour hat bereits begonnen...


Neuseeland und Auckland haben uns entspannt und beeindruckend in Empfang genommen - und überrascht... Wir haben das Paradies "ganz nah" gefunden: Waiheke Island...!!! Eine echte Entdeckung...


Bevor die ersten Veranstaltungen beginnen und wir "wieder ran müssen", genießen wir Land und Leute - und vor allem die angenehmen Temperaturen - in vollen Zügen...!!!



Argentinien

01-26-2020

Was als Erstes in Argentinien auffällt, ist die Lebensfreude und die ungezwungene Art des Miteinanders. Aber - das wird sehr schnell deutlich - ist dies häufig nur die Oberfläche! Man kann feststellen, dass in der Realität eine tiefsitzende pessimistische (Grund-) Haltung anzutreffen ist oder zumindest eine fatalistische.


Und das hat durchaus ein tragisches Element! Außer bei Fußball-Weltmeisterschaften, so erfahren wir, sprechen beispielsweise die Argentinier am liebsten von ihrem Land, indem sie sagen: Dieses Land! Und wenn sie von diesem Land sprechen, klingt es wie ein "anderes Land" und ist es immer schlecht und von Kleinkriminellen und Dieben und Mördern regiert. Die politischen Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber und schimpfen übereinander. Alles was schlecht ist, liegt ursächlich immer an den anderen! Jedes positive Beispiel einer Entwicklung wird durch ein negatives konterkariert. In den Diskussionen kommt man so häufig kein Stück weiter - das führt häufig zu frucht- und ergebnislosen") Diskussionen.

Dreh- und Angelpunkt unseres Aufenthaltes in Argentinien war und ist das Haus von Monika in San Isidro. Monika und ihr Sohn Janni waren uns vorbildhafte und herzensgute Gastgeber. Wir haben uns hier willkommen und zu Hause gefühlt. Zudem haben wir auch hier viel über Argentinien und die Argentinier lernen können. Vor allem haben wir viel durch sie und anderen Deutsch-Argentinier über die Auswanderer-Gemeinschaft der Deutschen gelernt, die sich hier in allen (!) Phasen der Geschichte Argentiniens durchaus wohl gefühlt hat, aber auch sehr deutlich mit diesem Land und seiner Entwicklung hadert sowie von der Gleichgültigkeit - oder sagen wir vielleicht besser - vom Gleichmut "der Argentinier" entmutigt ist. Viele von ihnen überlegen das Land, wie andere auch, (wieder) zu verlassen, um woanders ihr Glück zu suchen. Eine Rückkehr nach Deutschland ist dabei nicht immer ganz einfach. Denn die Brücken, die hier abzubrechen sind und auch die finanziellen, vor allem bürokratischen Hürden, die zu berücksichtigen sind, machen es schwierig.

Vielleicht fragen sich einige, was nun mit dem Tango ist. Ja, auch der Tango hat während unseres Aufenthaltes in Buenos Aires natürlich eine große Rolle gespielt, denn er ist allgegenwärtig und wir werden wieder viele Eindrücke mit nach Hause bringen. Wenn man dem Tango allerdings ausweichen möchte, geht das auch - und da gibt es viel zu entdecken...

Einige werden das Buch von Fleischhauer "Drei Minuten mit der Wirklichkeit" kennen und daher wissen, wie sehr der Tango auch mit der politischen Geschichte Argentiniens verbunden ist, mit den hellen und mit den dunklen Seiten... Aber gerade letztere werden häufig gern vergessen oder zumindest vernachlässigt - auch beim Tango tanzen...  

Der Besuch der ESMA - der Escuela Superior de Mecanica de la Armada, wo Gegner der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 auch während der Fußball-Weltmeisterschaft, die in diese Zeit fiel, gefoltert und umgebracht wurden, hat uns dies noch mal vor Augen geführt. Nur wenige Argentinier und noch weniger (Tango-) Touristen setzen sich mit diesem Aspekt ihres (Gastgeber-) Landes auseinander. Wir können nicht anders, als uns damit auseinandersetzen und hoffen, dass das nicht schon mit einer "deformation professionelle" zu tun hat. Die Geschichte tanzt für uns... Tango... !!! Und der ist eben auch immer ambivalent...


Schaut man - und das ist durchaus eine pauschale Sichtweise - hinter die Fassade "des freundlichen Argentiniers", dann kommt nicht nur der Machismo zum Ausdruck, sondern es wird deutlich, wie stark der Argentinier geprägt zu sein scheint von Eigensinn statt Gemeinsinn. Dies bietet nochmal die Gelegenheit einen Blick auf die aktuelle Lage in Argentinien zu lenken und zur Diskussion zu stellen:

Die Solidarität geht meist nicht über die Familie hinaus. Das ist umso schlimmer, da Argentinien "seit Anfang an und bis heute" von etwa 15 bis 20 großen Familien beherrscht zu sein scheint, die sich im Machtgefüge jeweils abwechseln, unterstützen oder behindern. Die jetzige Vizepräsidentin, vor vier Jahren noch Präsidentin Argentiniens, hat sich nach der Wiederwahl ihrer Partei mit "ihrem" Präsidenten im Stile Putins die Aufgabenbereiche so geteilt, dass sie nun über Verantwortungsbereiche verfügt, die ihr die Möglichkeit verschaffen, die gegen sie gerichteten (u.a.) Korruptionvorwürfe zu vereiteln oder zu vertuschen.

Wichtige Positionen scheinen mit gefügigen, häufig wenig erfahrenen Personen besetzt zu werden. Oder wie kann man es sich beispielsweise erklären, dass eine 28-Jährige Chefin der Zentralbank Argentiniens wird? Nichts gegen die Kompentenzen junger Menschen... aber...

Gerade die anhaltend hohe Inflation ist hier für die Menschen in Argentinien ein riesiges Problem und bestimmt das Alltagsleben in allen seinen Dimensionen. Die Angst geht um, dass die Inflation weiter an Fahrt gewinnen wird und die Lebenshaltungskosten steigen werden und "falsche" (Gegen-) Maßnahmen getroffen werden. Der Verdienst wird innerhalb kürzester Zeit entwertet und eine Schattenwirtschaft entsteht, die auch durch einen florierenden ...sagen wir mal... "Dollar-Handel" gekennzeichnet ist. Die "Florida", eine bekannte Einkaufsstraße in Buenos Aires, ist wieder zu einer Straße der "cambio-cambio" - Rufer geworden.

Allerdings wird dem neuen Präsidenten Fernandez von einigen durchaus zugetraut, die Geschicke Argentinien positiv zu wenden. Ich wünsche es den Menschen hier...!!!

Abgesehen von diesen widrigen Umständen ist Argentinien immer wieder eine Reise wert. Der Aufenthalt in El Calafate und der Besuch unseres Künstler-Freundes und Bergführers Ceferino Marino Chamoux sowie der Besuch des Künstlers Daniel Kaplan in Mar del Plata bleiben unvergessen. Beide haben sich dort vor Ort eine Welt und Arbeitsmöglichkeiten geschaffen, die Ihren Wünschen und Träumen entspricht und einem das Herz aufgehen lassen. Wir haben beide noch einmal auf eine ganz andere und tiefere Art und Weise kennengelernt, die uns den Eindruck vermittelt hat, wie tief diese beiden Menschen mit ihrem Land und ihrer Kultur verbunden sind und diese Verbundenheit in ihren jeweiligen Häusern, in denen sie wohnen bzw. die sie für sich gebaut haben und noch ausbauen, ausleben. Zudem sind beide mit der Natur, die sie umgibt, eng verbunden. Sie haben uns an Orte geführt, die uns nachhaltig beeindruckt haben. Zum einen war dies die Gletscher-Welt des Perito Moreno und die Gebirgs-Welt des Fitz Roy in El Chalten sowie des Lago Desierto. Zum anderen war dies die Stadt am Meer, Mar del Plata, die ansonsten von vielen eher abfällig beschrieben wird. Allerdings gibt es an jedem Ort Ecken, die nur Eingeweihte kennen und einen bezaubern können. Zudem haben wir unsere Freunde in Uruguay besucht, die uns ein Wochenende lang zu Familienmitgliedern machten. Wir haben mit ihnen schöne Tage am Strand, im Casa Publeo des Künstlers Vilaro und in Punta del Este verbracht. 


Unseren letzten Ausflug haben wir mit Monika und Janni nach San Antonio de Arecquo gemacht. Sie haben uns an diesem Ort ein traditionsreiches Stück Gaucho-Kultur gezeigt. Zudem haben Sie uns zu einem stolzen Gaucho-Künstler geführt, der es sich nicht hat nehmen lassen, uns ein spontan gemaltes Bild zu widmen. Auch in Buenos Aires waren wir in Sachen Kunst unterwegs und haben interessante Kontakte gemacht. Mal sehen, was daraus wird...




Wir verlassen Südamerika in Kürze Richtung Ozenanien und Asien, wo neue Eindrücke und auch wieder (Arbeits-) Aufträge auf uns warten, nachdem Chile und Argentinien mehr der Vertiefung alter und dem Aufbau neuer Kontakte sowie der Erholung diente. Dabei werden wir nochmal die eindrucksvollen Anden überfliegen, Chile queren und die Osterinsel passieren. Dorthin haben wir einen traumhaften Ausflug von Chile aus gemacht und sind in eine geheimnisvolle Welt eingetaucht. Hier wurde uns nochmal auf beeindruckende Weise deutlich, zu welchen großartigen Leistungen Menschen fähig sind. Gleichzeitig zeigt sich hier aber auch die Zerstörungskraft des Menschen, wenn er die Natur nicht achtet - und fremde Kulturen verachtet. Wir haben viel gelernt... und viel ist noch zu lernen...!!! Bekanntlich bildet Reisen ja... - also, wir sind unterwegs...!!!



Chile

01-23-2020

Wir haben lange nichts geschrieben, aber jetzt sind wir wieder "auf Spur" und unser Blog wird in Kürze sogar die "Jetzt-Zeit" erreichen. Zudem haben wir noch Fotos zu unserem Brasilien-Aufenthalt in den Blog eingesetzt. 

Unsere Weiter-Reise führt(e) uns nach Chile, auf die Osterinsel und nach Argentinien. Einsteigen möchten wir mit Eindrücken aus dem "unruhigen" Chile, wo sich vor allem Harald in Santiago "ins Getümmel" geworfen hat und seine Erlebnisse schildert, bevor wir wieder von unseren gemeinsamen Erlebnissen und Erfahrungen berichten:

      Mir Tränen die Augen und ich atme schwer. Die Luft in Santiago ist getränkt von Tränengas und Rauch. Dieses Gemisch ätzt sich tief in meine Lunge und empfing uns als "Duft" schon bei unserer Ankunft in der Stadt. 
Sie - eine große Zahl von jungen und älteren Leuten - verbrennen Plastik und Gummireifen und skandieren ihre Parolen, tragen Transparente und schwenken Fahnen. Zuerst ging es den Demonstrantinnen und Demonstranten nur um den Prostest gegen (eigentlich) geringfügige Erhöhungen der Buspreise. Doch das war wohl der sprichwörtlich kleine, letzte, winzige Tropfen, der das Fass offensichtlich endgültig zum Überlaufen gebracht hat. Jetzt geht es um mehr - um Bildung, Gesundheit, Rente und richtet sich gegen geplante Privatisierungen in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen. Gekämpft wird für (z.B. Verfassungs-) Reformen - und vor allem auch gegen das staatliche Vorgehen und die staatliche Gewalt!


Ich will unbedingt bis ins Zentrum der Demonstration vordringen, um mir ein eigenes Bild zu machen, von dem was hier passiert. Immer wieder höre ich das Wort: ”mata paco" - und denke, wer wird dieser Typ wohl sein. Doch es ist kein Typ, sondern heißt sinngemäß "tötet die Bullen". Die Demonstration ist friedlich, doch der Ärger, die Wut grenzenlos. Und manchmal leider auch die Zerstörungslust - die Stimmung schlägt aggressiv um. Was mich aber am meisten erschreckt, ist das brutale Vorgehen der Polizei. Von Deeskalation kann keine Rede sein! Mit Wasserwerfern und gepanzerten Fahrzeugen fahren die "Ordnungskräfte" massiv in die Menschengruppen hinein, um sie auseinander zu sprengen. Schüsse fallen und Geschrei tönt durch die Straßen. Menschen fliehen, die "pacos" schießen hier gezielt in die Augen - und werden als "asessino" bezeichnet: Mörder! Es gibt Tote und Verletzte, wie ich später aus der Zeitung erfahre. Chaos... und erneuter Angriff und Gegenangriff, David gegen Goliath!


Die Ampelanlagen in der gesamten Stadt sind ausgefallen, zerstört worden. Die Protestierenden regeln den Verkehr offensichtlich selbst. Der Verkehr wird von den Brennpunkten abgelenkt. Die Protestierenden haben auch eigene Notfallplätze und Versorgungspunkte eingerichtet.
Und einen Block weiter, um die Ecke sitzen Menschen und essen zu Abend, ungerührt und unbeteiligt... Nur die Sirenen der Polizei- und Krankenfahrzeuge sind in etwas Entfernung zu hören. Und der "Duft"... liegt über der Stadt...!!!
Die Demonstrationen und Proteste halten die Stadt schon seit Wochen in Atem. Und das betrifft nicht nur Santiago, sondern auch weite Teile Chiles.
Santiago ist ein Meer von Graffitis und Wandmalereien. Teilweise kunstvoll und teilweise einfach nur hin geschmiert. Ein Hund mit roter Binde ist zur Symbolfigur der Protestbewegung geworden, des Widerstandes der Bevölkerung gegen die Maßnahmen der Regierung. Vor allem junge Leute protestieren. Und es sind wohl erstmalig sowohl "konservative" als auch "progressive" Kräfte vereint im Kampf um die Zukunft ihres Landes, wie uns auch Schüler/innen der Deutschen Schule in Valparaiso aus erster Hand und eigenem Erleben berichtet haben.


In Südamerika gibt es in fast jedem Land zurzeit Demonstrationen und Proteste. In Bolivien, in Ecuador, in Kolumbien, in Venezuela und in Chile. Aber auch in Brasilien und Argentinien ist die Lage instabil aufgrund der aktuellen Regierungswechsel und den damit verbundenen Entwicklungen, die in ganz unterschiedliche (rechts/links) Richtungen weisen.
Überhaupt ist uns diesmal die starke Polarisierung des politischen Systems und der Gesellschaft(en) hier besonders aufgefallen. Diese Polarisierungen führen dazu, dass Eliten (und damit Ideologien) bei jedem Regierungswechsel komplett ausgetauscht werden und ihre Wirkung entfalten. Kompromiss und Ausgleich scheinen Fremdworte zu sein. Die Versorgung der eigenen politischen und gesellschaftlichen Klientel scheint das erste und oberste Gebot zu sein. Und die Angst derjenigen, die etwas haben, ist allgegenwärtig. Hinter Mauern, Stacheldraht und Überwachungsanlagen wird die eigene Welt und Weltsicht verteidigt - und die setzt allzu häufig in jeder Hinsicht bei aller Freundlichkeit und Offenheit auf Abschottung und Ausgrenzung. "My home is my castle" bekommt hier eine ganz andere Bedeutung.
Auch die Unterschiede zwischen Arm und Reich fallen uns diesmal besonders ins Auge. So krass und so dicht nebeneinander, wie bei diesem Besuch und lokal sicherlich auch unterschiedlich, haben wir das bisher noch nicht erlebt. Schockierende Bilder im Alltag direkt unter unseren Füßen, ohne lange suchen zu müssen...
Das ist alles nicht neu! Aber die aktuelle Wucht dieser Erscheinungen ist schon sehr bemerkenswert...

Wenn wir uns die Veranstaltungen an den Universitäten und Schulen in den USA und in Kolumbien in Erinnerung rufen - aber auch jene in Brasilien, Chile und Argentinien, so fällt uns auf, dass neben den üblichen Fragen, immer wieder die Frage nach der Zukunftsfähigkeit von Demokratien auftaucht und ernsthaft die Frage der Vorteilhaftigkeit von autoritären oder sogar diktatorischen Systemen diskutiert wird.
Im Gegensatz dazu wurde in Venezuela danach gefragt, wie es den Menschen in der DDR seinerzeit gelungen ist, das System mit friedlichen Mitteln umzustürzen und den nachfolgenden Prozess konstruktiv zu gestalten. Hier wird also nach einer Blaupause für einen Wandel gefragt, die es so natürlich nicht geben kann.

Für uns wird allerdings immer mehr deutlich, dass die durch verantwortungsvolle Eliten (auf beiden Seiten!) getragenen Rahmenbedingungen ein entscheidender Faktor waren, die in Deutschland dazu beigetragen haben, dass sich der Wille der Menschen, der sich auf den Straßen (und später auch an den Wahlurnen) ausdrückte, friedlich und eindrucksvoll durchsetzen konnte. Für uns ist dabei die visionäre und wirkmächtige Rolle, die Michael Gorbatschow eingenommen hat, in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung. Ohne ihn "im Hintergrund" - oder mit einer anderen Person an der Spitze der Sowjetunion - hätte die DDR-Führung möglicherweise doch eine "chinesische Lösung" vorgezogen. Glücklicherweise haben aber auch hier verantwortungsvolle Kräfte das Schlimmste verhindert oder hatten die Einsicht in das (vielleicht) Unvermeidliche...
Nun kann viel am "Wieder-Vereinigungs-Prozess" und an den aktuellen Entwicklungen im vereinten Deutschland kritisiert werden. Aber wir wissen heute schon, dass wir in dem Bewusstsein nach Deutschland zurückkehren werden, dass dieses Land (fast) jedem seine Chance bietet - und wir glücklich sind, in diesem Land leben zu dürfen.
Das Gejammer in unserem Land geht einem auch aus der Ferne unendlich auf die Nerven... Wer in unserem Land etwas anpacken oder verändern möchte, der kann das tun. Allerdings brauchen wir als Gesellschaft dabei keine Besserwisser oder Polarisierer, sondern Visionäre und Macher. An letzteren mangelt es leider allzu oft!

Vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen in Deutschland als Deutsche machen wir uns immer wieder Gedanken darüber, was wohl die Unterschiede sind, die sich zwischen der deutschen/europäischen "Mentalität" und der "Mentalität" zum Beispiel in Argentinien oder insgesamt in Südamerika allgemein feststellen lassen..., wenn man das so pauschal überhaupt machen kann.
Wir sind vor diesem Hintergrund gespannt darauf, welche Erfahrungen und Eindrücke wir nun in Argentinien, dem lateinamerikanischen Land, das wir "am besten" kennen, machen werden und welche Antworten wir auf unsere Fragen finden werden. 

Aber zuvor noch ein kleiner, ausgewählter Einblick in unsere anderen, vielfältigen Eindrücke aus Chile: 
Die Besuche in den Häusern, in denen der weltberühmte chilenische Dichter und Denker Pablo Neruda gewohnt und gearbeitet hat, haben uns ebenso beeindruckt wie beispielsweise der Besuch der gut ausgestatteten Gedenkstätte zur Erinnerung an die Pinochet-Diktatur... oder auch die Lösung des "Pisco-Streits" zwischen Chile und Peru... "Pisco" (...für die, die es nicht kennen...) ist ein erfrischendes und abwechslungssreiches Weingetränk, über deren "Erfindung" sich die Peruaner und Chilenen herzlich streiten. In Santiago haben sie zur Lösung des Konflikts eine unabhängige, vereinigte "Pisco-Zone" (Bar/Restaurant/Freiluftbereich) gegründet und sie "ChiPeRepublica" genannt, wo man das Getränk ganz friedlich genießen kann, ohne sich zu fragen, in welchem Land es denn nun erfunden wurde - klasse Lösung...!!!


Sao Paulo

01-11-2020


Für Sao Paulo waren zwei Tage eingeplant... oder sagen wir besser zwei Nächte. Durch die Umbuchung kamen wir erst am späten Abend an. Vom Flughafen abgeholt wurden wir von einem Freund, den ich 2012 im Rahmen eines Sprachkursus in Sydney kennengelernt habe. Obwohl Bruno mit seinen 29 Jahren locker mein Enkel sein könnte, hielten wir über die Jahre immer Kontakt und trafen uns bereits zweimal in Sao Paulo und einmal in Berlin. Er ist fasziniert von der deutsch-deutschen Geschichte, hat mir aber auch schon viel über die Geschichte seines Landes erzählt. Vor Jahren sagte er einmal, dass er gerne "stolz auf sein Land wäre", aber soziale Ungerechtigkeit, Rassismus, Homophobie und Korruption bis in die höchsten Regierungskreise dies einfach nicht zuließen. Das hat mich tief beeindruckt. Er war auch der erste, der mir über den "zu befürchtenden" neuen brasilianischen Präsidenten berichtete, wohl immer noch hoffend, dass bei der Wahl die Brasilianer vielleicht doch noch "den Dreh kriegen würden"... den Ausgang kennen wir. 

Für den kommenden Abend war ein Vortrag anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls in einer Baptisten-Gemeinde  geplant. Der Gemeinde-Pfarrer, den wir kurz nach unserer Ankunft in der Stadt kennen lernten, war sich nicht sicher, ob viele Interessierte kommen würden. Auch ich fragte mich natürlich, ob, vor dem Hintergrund massiver innenpolitischer und sozialer Kriesen, irgend jemand irgend etwas über die Innenansichten eines (vergleichsweise) Paradieses hören möchte.

Den Tag verbrachten wir in der Stadt. Die Bilder ähnelten denen Rios, nur dass die leicht-beschwingte Urlaubs-Atmosphäre  in dieser Industrie-, Banken- und Versicherungs-Metropole nicht aufkam und die sozialen Unterschiede brutaler zutage traten. Hier gab es kaum Touristen, die aus Mitleid Almosen gaben - für die Brasilianer schienen die Bilder allzu alltäglich...?! 



Der Abend war super, die Gemeindekirche gut gefüllt, das Interesse an Deutschland und seinem Weg zu einer vereinten Nation von großem Interesse. Der zeitliche Rahmen wurde deutlich überzogen. Bruno übersetzte ins brasilianische und moderierte auch die Zuschauer-Fragen. Er machte das super professionell und es hat riesigen Spaß gemacht. Im Anschluss gab es viel Zuspruch von den Gästen, vor allem aber von Brunos Familie, die war geschlossen vor Ort war. Die Begegnung war sehr herzlich. 



Mit dem Segen des Pfarrers am Abend der Veranstaltung, dem persönlichen Lift zum Flughafen durch ihn und seinen Bruder und einem guten Gefühl verließen wir am kommenden Morgen die Stadt und machten uns auf den Weg nach Santiago de Chile. Die Nachrichten, die uns zuvor aus dieser Stadt erreichten, waren alles andere als beruhigend - aber: Flug und Unterkunft waren gebucht und überhaupt fühlen wir uns inzwischen sehr krisenerprobt. Wir freuten uns!



Friederikenstraße 19, 45130 Essen
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