Argentinien

01-26-2020

Was als Erstes in Argentinien auffällt, ist die Lebensfreude und die ungezwungene Art des Miteinanders. Aber - das wird sehr schnell deutlich - ist dies häufig nur die Oberfläche! Man kann feststellen, dass in der Realität eine tiefsitzende pessimistische (Grund-) Haltung anzutreffen ist oder zumindest eine fatalistische.


Und das hat durchaus ein tragisches Element! Außer bei Fußball-Weltmeisterschaften, so erfahren wir, sprechen beispielsweise die Argentinier am liebsten von ihrem Land, indem sie sagen: Dieses Land! Und wenn sie von diesem Land sprechen, klingt es wie ein "anderes Land" und ist es immer schlecht und von Kleinkriminellen und Dieben und Mördern regiert. Die politischen Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber und schimpfen übereinander. Alles was schlecht ist, liegt ursächlich immer an den anderen! Jedes positive Beispiel einer Entwicklung wird durch ein negatives konterkariert. In den Diskussionen kommt man so häufig kein Stück weiter - das führt häufig zu frucht- und ergebnislosen") Diskussionen.

Dreh- und Angelpunkt unseres Aufenthaltes in Argentinien war und ist das Haus von Monika in San Isidro. Monika und ihr Sohn Janni waren uns vorbildhafte und herzensgute Gastgeber. Wir haben uns hier willkommen und zu Hause gefühlt. Zudem haben wir auch hier viel über Argentinien und die Argentinier lernen können. Vor allem haben wir viel durch sie und anderen Deutsch-Argentinier über die Auswanderer-Gemeinschaft der Deutschen gelernt, die sich hier in allen (!) Phasen der Geschichte Argentiniens durchaus wohl gefühlt hat, aber auch sehr deutlich mit diesem Land und seiner Entwicklung hadert sowie von der Gleichgültigkeit - oder sagen wir vielleicht besser - vom Gleichmut "der Argentinier" entmutigt ist. Viele von ihnen überlegen das Land, wie andere auch, (wieder) zu verlassen, um woanders ihr Glück zu suchen. Eine Rückkehr nach Deutschland ist dabei nicht immer ganz einfach. Denn die Brücken, die hier abzubrechen sind und auch die finanziellen, vor allem bürokratischen Hürden, die zu berücksichtigen sind, machen es schwierig.

Vielleicht fragen sich einige, was nun mit dem Tango ist. Ja, auch der Tango hat während unseres Aufenthaltes in Buenos Aires natürlich eine große Rolle gespielt, denn er ist allgegenwärtig und wir werden wieder viele Eindrücke mit nach Hause bringen. Wenn man dem Tango allerdings ausweichen möchte, geht das auch - und da gibt es viel zu entdecken...

Einige werden das Buch von Fleischhauer "Drei Minuten mit der Wirklichkeit" kennen und daher wissen, wie sehr der Tango auch mit der politischen Geschichte Argentiniens verbunden ist, mit den hellen und mit den dunklen Seiten... Aber gerade letztere werden häufig gern vergessen oder zumindest vernachlässigt - auch beim Tango tanzen...  

Der Besuch der ESMA - der Escuela Superior de Mecanica de la Armada, wo Gegner der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 auch während der Fußball-Weltmeisterschaft, die in diese Zeit fiel, gefoltert und umgebracht wurden, hat uns dies noch mal vor Augen geführt. Nur wenige Argentinier und noch weniger (Tango-) Touristen setzen sich mit diesem Aspekt ihres (Gastgeber-) Landes auseinander. Wir können nicht anders, als uns damit auseinandersetzen und hoffen, dass das nicht schon mit einer "deformation professionelle" zu tun hat. Die Geschichte tanzt für uns... Tango... !!! Und der ist eben auch immer ambivalent...


Schaut man - und das ist durchaus eine pauschale Sichtweise - hinter die Fassade "des freundlichen Argentiniers", dann kommt nicht nur der Machismo zum Ausdruck, sondern es wird deutlich, wie stark der Argentinier geprägt zu sein scheint von Eigensinn statt Gemeinsinn. Dies bietet nochmal die Gelegenheit einen Blick auf die aktuelle Lage in Argentinien zu lenken und zur Diskussion zu stellen:

Die Solidarität geht meist nicht über die Familie hinaus. Das ist umso schlimmer, da Argentinien "seit Anfang an und bis heute" von etwa 15 bis 20 großen Familien beherrscht zu sein scheint, die sich im Machtgefüge jeweils abwechseln, unterstützen oder behindern. Die jetzige Vizepräsidentin, vor vier Jahren noch Präsidentin Argentiniens, hat sich nach der Wiederwahl ihrer Partei mit "ihrem" Präsidenten im Stile Putins die Aufgabenbereiche so geteilt, dass sie nun über Verantwortungsbereiche verfügt, die ihr die Möglichkeit verschaffen, die gegen sie gerichteten (u.a.) Korruptionvorwürfe zu vereiteln oder zu vertuschen.

Wichtige Positionen scheinen mit gefügigen, häufig wenig erfahrenen Personen besetzt zu werden. Oder wie kann man es sich beispielsweise erklären, dass eine 28-Jährige Chefin der Zentralbank Argentiniens wird? Nichts gegen die Kompentenzen junger Menschen... aber...

Gerade die anhaltend hohe Inflation ist hier für die Menschen in Argentinien ein riesiges Problem und bestimmt das Alltagsleben in allen seinen Dimensionen. Die Angst geht um, dass die Inflation weiter an Fahrt gewinnen wird und die Lebenshaltungskosten steigen werden und "falsche" (Gegen-) Maßnahmen getroffen werden. Der Verdienst wird innerhalb kürzester Zeit entwertet und eine Schattenwirtschaft entsteht, die auch durch einen florierenden ...sagen wir mal... "Dollar-Handel" gekennzeichnet ist. Die "Florida", eine bekannte Einkaufsstraße in Buenos Aires, ist wieder zu einer Straße der "cambio-cambio" - Rufer geworden.

Allerdings wird dem neuen Präsidenten Fernandez von einigen durchaus zugetraut, die Geschicke Argentinien positiv zu wenden. Ich wünsche es den Menschen hier...!!!

Abgesehen von diesen widrigen Umständen ist Argentinien immer wieder eine Reise wert. Der Aufenthalt in El Calafate und der Besuch unseres Künstler-Freundes und Bergführers Ceferino Marino Chamoux sowie der Besuch des Künstlers Daniel Kaplan in Mar del Plata bleiben unvergessen. Beide haben sich dort vor Ort eine Welt und Arbeitsmöglichkeiten geschaffen, die Ihren Wünschen und Träumen entspricht und einem das Herz aufgehen lassen. Wir haben beide noch einmal auf eine ganz andere und tiefere Art und Weise kennengelernt, die uns den Eindruck vermittelt hat, wie tief diese beiden Menschen mit ihrem Land und ihrer Kultur verbunden sind und diese Verbundenheit in ihren jeweiligen Häusern, in denen sie wohnen bzw. die sie für sich gebaut haben und noch ausbauen, ausleben. Zudem sind beide mit der Natur, die sie umgibt, eng verbunden. Sie haben uns an Orte geführt, die uns nachhaltig beeindruckt haben. Zum einen war dies die Gletscher-Welt des Perito Moreno und die Gebirgs-Welt des Fitz Roy in El Chalten sowie des Lago Desierto. Zum anderen war dies die Stadt am Meer, Mar del Plata, die ansonsten von vielen eher abfällig beschrieben wird. Allerdings gibt es an jedem Ort Ecken, die nur Eingeweihte kennen und einen bezaubern können. Zudem haben wir unsere Freunde in Uruguay besucht, die uns ein Wochenende lang zu Familienmitgliedern machten. Wir haben mit ihnen schöne Tage am Strand, im Casa Publeo des Künstlers Vilaro und in Punta del Este verbracht. 


Unseren letzten Ausflug haben wir mit Monika und Janni nach San Antonio de Arecquo gemacht. Sie haben uns an diesem Ort ein traditionsreiches Stück Gaucho-Kultur gezeigt. Zudem haben Sie uns zu einem stolzen Gaucho-Künstler geführt, der es sich nicht hat nehmen lassen, uns ein spontan gemaltes Bild zu widmen. Auch in Buenos Aires waren wir in Sachen Kunst unterwegs und haben interessante Kontakte gemacht. Mal sehen, was daraus wird...




Wir verlassen Südamerika in Kürze Richtung Ozenanien und Asien, wo neue Eindrücke und auch wieder (Arbeits-) Aufträge auf uns warten, nachdem Chile und Argentinien mehr der Vertiefung alter und dem Aufbau neuer Kontakte sowie der Erholung diente. Dabei werden wir nochmal die eindrucksvollen Anden überfliegen, Chile queren und die Osterinsel passieren. Dorthin haben wir einen traumhaften Ausflug von Chile aus gemacht und sind in eine geheimnisvolle Welt eingetaucht. Hier wurde uns nochmal auf beeindruckende Weise deutlich, zu welchen großartigen Leistungen Menschen fähig sind. Gleichzeitig zeigt sich hier aber auch die Zerstörungskraft des Menschen, wenn er die Natur nicht achtet - und fremde Kulturen verachtet. Wir haben viel gelernt... und viel ist noch zu lernen...!!! Bekanntlich bildet Reisen ja... - also, wir sind unterwegs...!!!



01-28-2020
Christoph
Erschreckend, dass in Gesellschaften in denen noch bis in die späten 80'er Jahre des letzten Jahrhunderts Militärdiktaturen Ihr Unwesen getrieben haben, tatsächlich Leute Vorzüge in einem totalitärem System vermuten.
Im Alltag mag man wiederkehrend die Mühsal einen guten Kompromiss zu finden beklagen, doch so lange man kein gerechteres System für jeden erfindet, gilt es die Demokratie zu verteidigen. Überall!!

Euch noch eine spannende Reise!
02-10-2020
Veronika
Christophs Kommentar hat mich sehr berührt, sagen wir besser "getroffen" und das mitten ins Herz, in Kopf und Bauch.
Mehr möchte ich dem nicht hinzufügen.
"Dankeschön"
Veronika

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